Das Schmerzgedächtnis beim Pferd

Hat das Pferd ein Schmerzgedächtnis? Und was ist das überhaupt?

Im Gespräch mit Pferdehaltern höre ich öfter, dass ihre Barhufpferde auf bestimmten Böden „fühlig“ gehen, also sehr vorsichtig und langsam fußen oder zum Beispiel auf Schotterwegen versuchen, auf den Seitenstreifen auszuweichen. Manche Pferdehalter haben dabei die Anweisung erhalten, dass das Pferd „da durch muss“. Es soll einfach weiter über den offenbar schmerzhaften oder wenigstens unangenehmen Boden laufen, um sich daran zu gewöhnen. Was hat das mit dem Schmerzgedächtnis zu tun?

Barhuf über Schotter

Bei der Osteopathin und ganzheitlichen Tierheilpraktikerin in mir schrillen dabei alle Alarmglocken. Das Pferd hat schließlich ein Schmerzgedächtnis. Ein solches Vorgehen kann verdammt nach hinten losgehen. 

Gewöhnung oder Überforderung?

Eigentlich ist die Idee gar nicht so aus der Luft gegriffen: Vielleicht kennst du das von dir selbst? Ich laufe viel barfuß und wenn ich nach dem kalten Winter die Schuhe weglasse, dann laufe ich auch erstmal ziemlich „fühlig“ wenn Kieselsteine oder Schotter auf meinem Weg liegen. Mein Füße haben sich an ihre winterliche Verpackung gewöhnt und reagieren auf die neuen Reize sehr empfindlich. Das wird dann Tag für Tag, Woche für Woche besser und am Ende des Sommers gehen und renne ich problemlos über alle Untergründe. Ganz genauso kann das Pferd sich auch an härtere, unebenere, zunächst unangenehme Untergründe gewöhnen. 

ABER: 

  • Ich kann mir aussuchen, wo und wieviel ich laufe. Ist es mir zu unangenehm, weiche ich aus, gehe besonders vorsichtig, ziehe wieder Schuhe an oder gehe einen anderen Weg. 
  • Ich spüre selbst, ob auf meinem geschotterten Innenhof das unangenehme Barfußgefühl eher weniger oder doller wird. Wenn es doller wird, reagiere ich und laufe weniger dort herum.

Ich habe also selbst die Wahl und ich spüre den Körper, über den ich entscheide, selbst.

Schmerzen und Schmerzgedächtnis

Und hier kommen wir zum Schmerzgedächtnis. Was würde passieren, wenn ich nicht nach meinem Gefühl gehen würde, die Zähne zusammenbeißen und den Schmerzreiz ignorieren würde? Warst du schon einmal längere Zeit ohne oder mit den falschen Schuhen unterwegs und hattest keine Möglichkeit, auf Schmerzen, Druckstellen, Blasen usw. zu reagieren? 

Ich war vor ein paar Jahren mit einer Freundin mit unseren Pferden wandern. Es war Sommer, wir fühlten uns frei und glücklich und waren auch schon eine zeitlang beide nur barfuß unterwegs. Die Wanderung führte uns über wunderschöne Waldwege, die mit grobem Schotter befestigt waren. Nach einigen Kilometern wurde es unangenehm, wir gingen langsamer, mehr am Rand usw. und orientierten uns auch schon schnell wieder Richtung Heimat. Das unangenehme Gefühl wurde schnell zu einem mittelstarken Schmerz und als wir endlich den letzten, zum Glück glatt asphaltierten Kilometer erreichten qualmten uns geradezu die Füße und sogar der Rest des Weges auf dem Asphalt tat uns ziemlich weh. Ich frage mich heute noch, warum wir uns damals nicht einfach auf die Pferde gesetzt haben. Das war nur eine einmalige Geschichte, bei der uns am Ende sogar der Boden, auf dem wir sonst problemlos barfuß rannten und sprangen, in langsamem vorsichtigen Schritt Schmerzen bereitete. 

Barfußlaufen

Was wäre wohl passiert, wenn wir diese Aktion in den nächsten Tagen immer wieder wiederholt hätten?

Unsere Fußschmerzen wären chronisch geworden. Und daraus hätte sich unser Schmerzgedächtnis entwickelt.

Denn durch chronische, also länger anhaltende Schmerzen, wird die Signalverarbeitung im Nervensystem verändert. Anhaltenden oder ständig wiederkehrende Schmerzreize hinterlassen ihre Spuren im Nervensystem. Die Folge ist eine zunehmende Empfindlichkeit für zukünftige Schmerzreize. Vereinfacht kann man sich das so vorstellen, dass der Körper einfach dazu lernt: die betroffenen Nervenwege werden von „Trampelpfaden“ zu „Autobahnen“ ausgebaut. Schließlich reichen schon viel geringere Reize, um die entsprechende Reaktion (Schmerz) auszulösen. Der Schmerz ist als Erinnerung gespeichert und bei geringen Reizen leicht abrufbar, auch wenn der ursprüngliche Grund für den Schmerz schon gar nicht mehr da ist.

Und genau das kann passieren, wenn dein Pferd längere Zeit „fühlig“ laufen muss. Natürlich kann dein Pferd sich an verschiedene Untergründe gewöhnen. Das muss es aber sehr langsam und mehr als ein bisschen komisch sollte es sich dabei für das Pferd nicht anfühlen. In der Regel wird so eine Gewöhnung aber nur funktionieren, wenn dein Pferd die entsprechenden Haltungsbedingungen hat, sich also langfristig auf härtere Böden einstellen kann. Generell kann man für viele Pferde sagen, dass der Boden, auf dem sie leben möglichst dem Boden entsprechen sollte, auf dem sie gearbeitet werden. Wenn du auf geschotterten Wegen ausreiten möchtest, dann wäre also ein geschotterter Paddocktrail optimal. Und auch dabei braucht das Pferd eine langsame, sanfte Eingewöhnung, um sich auf die Bodenverhältnisse einzustellen. Dabei spielen für den Erfolg der Gewöhnung neben der vorsichtigen Gewöhnung auch weitere Faktoren eine Rolle, wie die Nährstoffversorgung, die Stoffwechselsituation des Pferdes und natürlich auch die Hufbearbeitung.

Schotterbereich im Paddock

Temporärer Hufschutz

Wenn dein Pferd überwiegend weich eingestreut, auf sehr ebenem Boden und weicher Wiese und Paddock steht, ist es gut möglich, dass es dauerhaft einen Hufschutz auf härteren Geländewegen benötigt. Zum Glück ist der Hufschuhmarkt inzwischen echt weit entwickelt und es findet sich eigentlich immer eine gute Lösung.

Ich empfehle, dein Pferd auf keinen Fall fühlig laufen zu lassen. Wenn es bestimmte Untergründe vermeiden will, dann zwinge es nicht. Besorge Hufschuhe für den Übergang oder als Dauerlösung. 

Hast du Fragen zu dem Thema oder wünschst dir Hilfe mit deinem Pferd? Melde dich gerne bei mir.

Warum das Pferd 5 Herzen hat

Die Hufpumpe

Der Pferdehuf weitet sich bei jedem Schritt in der Belastungsphase und zieht sich während der Entlastung wieder zusammen. Diese Bewegung wird als Hufmechanismus bezeichnet und sie unterstützt den Blutumtrieb des Pferdes.

Das Pferd hat an den distalen Bereichen der Gliedmaßen – also unterhalb der Karpal- und Sprunggelenke – keine Muskulatur. Der venöse Rückfluss des Blutes zum Herzen wird also in diesen Bereichen nicht durch Muskelkontraktionen unterstützt. Die Natur hat hier die Pumpfunktion der Hufe eingerichtet, um das venöse Blut in Richtung des Herzens zu pumpen. Bei jedem Schritt werden durch die Bewegung der Hornkapsel und die daraus resultierende Erweiterungen und Verengung der venösen Gefäße in der Huflederhaut und am Kronsaum ca. 2 cl Blut gepumpt. Das entspricht etwa einem Schnapsglas pro Schritt!

Ein Schnapsglas voll Blut je Schritt

Bei einer natürlichen Laufleistung von bis zu 60 (durhschnittlich ca. 15) km am Tag und eine Schrittlänge zwischen 70 und 140 cm wird deutlich, dass die Hufe eine ganze Menge Blut pumpen und so das Pferdeherz enorm unterstützen.

Das Pferd beim Menschen

Wenn das Pferd – wie die meisten unserer gehaltenen Pferde – weniger läuft, dann fällt diese Unterstützung entsprechend geringer aus. Das ist eines der vielen Argumente, die für die Offenstallhaltung im Herdenverband sprechen – die ich bis auf sehr wenige Ausnahmen immer befürworten würde.

Aber auch wenn das Pferd viele km am Tag läuft, kann die Unterstützung des Herzens durch die Hufpumpe eingeschränkt sein. Wenn der Hufmechanismus nicht richtig funktioniert, weil der Huf deformiert ist und entsprechend nicht oder nur eingeschränkt physiologisch beweglich. Dies ist in der Praxis leider öfter der Fall, als man vermuten würde. Auch Hufbeschlag schränkt den Hufmechanismus sehr stark ein oder verhindert ihn völlig. Ein Grund mehr, eine Barhufumstellung in Erwägung zu ziehen. Mit Geduld und fachlich qualifizierter Unterstützung halte ich die Umstellung für nahezu immer sinnvoll und praktikabel.

Eine weitere „Gefahr“ für den Hufmechanismus stellen die extremen Trockenperioden dar, die in den letzten Sommern immer häufiger werden. Hier kann es passieren, dass das Hufhorn zu stark austrocknet und seine Elastizität dadurch verliert. Gerade, wenn es so trocken ist, dass sich nachts kein Tau mehr bildet oder die Pferde nicht in einer feuchten Wiese laufen können. Hier kann es sinnvoll sein, die Hufe regelmäßig zu wässern, indem zum Beispiel die Tränke so positioniert wird, dass die Pferde zum Trinken im Wasser stehen müssen. Das würde auch dem Vorbild der Wildpferde entsprechen. Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von speziellen Hufschuhen, welche mit Wasser gefüllt werden können.

Wildpferde in Bosnien an der Wasserstelle beim Trinken inklusive Hufbad

Hast du Fragen zum Hufmechanismus oder bist unsicher, ob die Hufe deines Pferdes einen guten Hufmechanismus haben? Gerne unterstütze ich dich mit einer Hufanalyse oder Beratung. Kontaktiere mich gerne jederzeit.