Hufe haben sich dazu entwickelt, sich selbst zu erhalten. Vor der Domestizierung der Pferde hat ihr täglicher nomadischer Lebensstil, der sie über lange Strecken durch unterschiedliches Terrains führte, ihre Hufe permanent auf die optimale Länge abgenutzt und abgerundet oder abgeschrägt, sodass sie nicht ausgebrochen sind. Die Sohlen, Eckstreben und Strähle waren in dickes verhärtetes und verdichtetes Horn verpackt, das sich ständig abnutzte, während neue Zellen aus dem Inneren nachschoben. Es wurde keine menschliche Hilfe benötigt. Ein genetisch weniger gut ausgestattetes Tier, dessen Hufe sich nicht selbst erhalten konnten, überlebte nicht lange und konnte deshalb seine Gene nicht an zukünftige Generationen weitergeben. Das hatte zur Folge, dass die Pferde und ihre Hufe sich im Laufe der Millionen an Jahren andauernden Evolution immer weiter verbesserten. Heute können wir den Prozess des natürlichen Gleichgewichts zwischen Wachstum und Abnutzung weiterhin bei verwilderten Wüstenpferden, die wieder im amerikanischen Westen (und anderen Teilen der Welt) angesiedelt wurden sowie anderen verwilderten Hauspferden (wie den Wildpferden in Bosnien) beobachten, und auch, wenn wir die Hufe anderer wildlebender Huftiere studieren.
Domestizierte Pferde haben dagegen eine ganz andere Lebensweise. Sie sind von uns massiv in der Bewegung eingeschränkt, da einerseits ihr Lebensraum sehr begrenzt ist und auf der anderen Seite alle ihre Bedürfnisse erfüllt sind – Futter und Wasser stehen ständig oder zumindest meistens in ausreichender Menge bereit, es ist keine Flucht vor Angreifern notwendig usw. Das Leben der Pferde wird dadurch sehr stark vereinfacht. Die Pferde bewegen sich also viel weniger, als es die Natur für sie vorgesehen hat. Wildpferde legen täglich bis zu 30 km zurück – unter sehr widrigen Umständen auch bis zu 60 km, im Durchschnitt aber immerhin zwischen 8 und 16 km. Und das kontinuierlich über den Tag verteilt. Der Abrieb des Horns ist entsprechend geringer, als er es in der Natur wäre. (Auf die weiteren Auswirkungen der verringerten Bewegung auf Huf und Pferd werde ich in einem anderen Artikel noch genauer eingehen).
Hinzu kommt, dass wir unsere Pferde häufig auf weicherem Boden halten, als die Evolution es vorgesehen hat. Und ihr Futter – selbst wenn sie nur von Heu und Gras ernährt werden – ist meist reicher an Kohlenhydraten als es in der Natur wäre. Dies wirkt sich ebenfalls auf Hufwachstum und Hornqualität aus.
Wir folgen nicht der natürlichen Auslese der Natur, sondern züchten unsere Pferde nach ganz anderen Kriterien, wobei dieser Faktor gegenüber den Haltungsbedingungen eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Insgesamt führen diese Faktoren dazu, dass eine regelmäßige Hufbearbeitung für die allermeisten unserer gehaltenen Pferde zwingend erforderlich ist, um die (Huf-) Gesundheit zu erhalten.